Germania
Die Germania in der Paulskirche hat Grund zur Sorge. Politischer Radikalismus hat Konjunktur in Deutschland. Die Konjunktur dagegen nicht. Die politische Mitte Germaniens gefällt sich in Mediokratie und Personaldebatten. Von schwarz-rot-goldener Aufbruchsstimmung der deutschen Republik ist nichts zu spüren, "rückwärts" ist die Devise.
Ein Viertel der Wähler gibt an, ihre Stimme einer laut Verfassungschutz "gesichert rechstextremistischen Bestrebung" geben zu wollen, wäre nächsten Sonntag Bundestagswahl. Bezeichnend für die deutlich in die "gute alte Zeit" strebende Bewegung: Sie bezeichnen alle anderen als "Altparteien". Was natürlich der etwas verkrampft wirkende Versuch ist, vom Anachronismus des eigenen Portfolios abzulenken. Weitere zehn Prozent würden eine Partei wählen, deren Ziel die Abschaffung der sozialen Marktwirtschaft zugunsten des Sozialismus ist. Einer Partei, die ihre politische Abstammung von der DDR-Diktatur zwar leugnet, aber erkennbar genau dahin zurück will. Die aktuell beliebteste Politikerin Deutschlands, Heidi Reichinnek nennt das dann: "Die Systemfrage stellen". Immerhin vier Prozent würden ihre Stimme einer Partei geben, die einen Personenkult betreibt und einen national isolierten Sozialismus als erstrebenswert propagiert. Es ist nicht die FDP.
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Sonntagsfrage zur Bundestagswahl https://wahlrecht.de/umfragen/
Ich weiß natürlich, dass die jeweiligen Anhänger bzw. Wähler dieser Parteien, das nicht so sehen. Die Einstufung als radikal, radikal-populistisch bzw. autoritär-populistisch, verfassungsfeindlich ihrer Partei als falsch empfinden, allemal für sich selbst. Mich also fragen würden: Wo ist das Problem? Und es stimmt: Es ist wichtig zwischen Partei, den Personen und ihren Wählern zu unterscheiden.
Problem?
Obwohl einem auch beim Zustand der selbsternannten politischen Mitte, zu denen ja auch meine Partei, die FDP zählt, Angst und Bange werden kann. Sie ist nach dem Ampel-Ende tief gespalten. Der Auftakt der nächsten, inzwischen eher kleinen, großen Koalition, lässt kaum Hoffnung auf ein Ende der Mediokratie in Deutschland.
Ich gehöre ja nun gerade nicht zu denen, die behaupten vor 49 Jahren wäre alles besser gewesen. Immerhin, die politische Landschaft war unbestreitbar einfacher, siehe: Wahlergebnis Bundestagswahl 1976 . Ich bin kein Freund sozialliberaler Koalitionen, dafür dafür, dass das Wahlalter wieder auf 21 erhöht wird, darum gehts nicht, sondern: was machte Helmut Schmidt anders, so dass alle noch heute von ihm schwärmen, aber Olaf Scholz (wer?) schon vergessen ist, obwohl sein Nachfolger noch nichtmal gewählt wurde?
In der Bevölkerung ist dann auch eine gewisse Resignation gegenüber der Politik, der Regierung zu spüren. Klar die gabs und gibt es immer - aber der Wunsch nach Einfachheit, die Ablehnung des Pluralismus ist deutlich spürbar. Hilft es da, nach Parteienverbot zu rufen? Ich weiß nicht. Vielleicht ist ein bisschen Bewegung das, was Germania braucht? Zumal ja politische Einfachheit zur Zeit weltpolitisch en vogue ist.
Wo ist der Kaiser geblieben?
Was ist es also, was dem deutschen Wähler fehlt? Ist der Wunsch nach Vergangenheit, nach Kassettenrecordern, VW-Käfer, der D-Mark, des schwarz-weiß-Fernsehens und ebenso binären Personenstandsregisters, Schmidt, Kohl und Genscher vielleicht doch mehr als nur eine Wahrnehmungsstörung?
Erstaunlich für mich ist bei aller Differenziertheit der politischen Strömungen doch die deutliche Trennung, in diejenigen, die Putins militärischen Nachbarschaftsbesuch gutheißen, zumindest implizit, und denen, die ihn ablehnen. Es ist zugleich aber auch Ausdruck des Wunsches nach Stärke und Klarheit. Man sehe sich die Handlungen Donald Trumps an. Dass er zunächst verkündet, den Ukraine-Konflikt in einem Tag lösen zu werden und dann geradezu kläglich an den globalen Realitäten scheitert, abprallt, ja eigentlich zerfließt, stört seine Anhänger null. ER hats mal wieder allen gezeigt. Wie kann man auf so einen Trottel reinfallen?
Unvorstellbar für mich, sollte es demnächst wieder Usus werden, dass Ländergrenzen von dem gezogen werden, der hinter der größten Kanone steht. Aber, das ist es was die AfDs, Linken, BSWs, Trumps, Le Pens uns versprechen: Stolz und Größe. Den Golf von Amerika und kolonialen Lebensraum. Ein Staatsbild aus dem letzten Jahrtausend. Natürlich völlig illusorisch, eingebildet, dämlich, grotesk-verzerrt. Aber: Sehnsuchtsort vieler demokratiemüder Deutscher im Jahr des Herrn (Hihihi) 2025.
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Bild von Kaiser Wilhelm II. 2024 in deutscher Gaststätte. Selbstfotografiert. |
Ist das nun innenarchitektonisches Gestaltungsmerkmal oder tief empfundener politischer Wunsch, wenn mich im Jahr 2024 in einer deutschen Gaststätte der Kaiser streng nicht anschaut? Ja, macht sich gut, so aufm Bild, der Kaiser. In Realitas, hat er den Schnauzer ja weniger heroisch, eher ungermanisch mitgenommen, als er nach Holland abgehauen ist.
Die Conclusio: Nichts ist einfach, heutzutage im Universum. Progressive sind altbacken, Birkenstock-Fans sind konservativ, Kanonenbootpolitiker und alte weiße Diktatoren sind hipp. Aber eins weiß ich:
Der Kaiser hatte mit schwarz-rot-gold nichts am Hut.
Links
- Wikipedia: Schwarz-Rot-Gold
- Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die „Alternative für Deutschland“ als gesichert rechtsextremistische Bestrebung ein
- ChatGPT, Prompt: Liste die Gründe auf, aufgrund derer der Verfassungsschutz die Afd als gesichert rechtsextrem eingestuft hat.
- Welt: Heidi Reichinnek ruft zum Sturz des Kapitalismus auf
- NOZ: Aktuell beliebteste Politikerin Heidi Reichinnek im NOZ-Interview: Den Kapitalismus will ich stürzen
- Stern: Heidi Reichinnek erstmals beliebteste Politikerin in Deutschland
- Welt:„Ähnlichkeiten zur AfD“ – Warum die Wagenknecht-Partei zum Standort-Risiko wird
- Wikipedia: Der deutsche Michel
- Welt: „Donald Trump ist der größte Idiot in der neueren Geschichte“
- Mathias Zeuner: Semantik
- Mathias Zeuner: Lahm
- Mathias Zeuner: Abschied
- Wikipedia: Wahlergebnis BTW 1976
- Wikipedia: Mediokratie - die Herrschaft der Mittelmäßigkeit
- Wikipedia: Kanonebootpolitik
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