In dubio pro Bürokratie?

 Ein freier Demokrat hat keinen Grund, sich für die Notwendigkeit von Regeln beim Zusammenleben in einer Gesellschaft von Menschen zu entschuldigen.


Liberale Demokratie und Anarchie sind völlig unterschiedliche Dinge. Allerdings hat der freie Demokrat, ich zumindest, hohe Ansprüche an den Rechtsstaat. An die Qualität der Genese von Gesetzen, der Interpretation und Exekution von demokratischem Recht. Weit mehr, als dies heute im allgemeinen politischen Diskurs üblich ist. Im Gegenteil: Der allgemeine politische Trend, sich möglichst kritiklos der Autorität, man muß es deutlich sagen: der Einfalt, älterer, betonköpfiger Hominiden hinzugeben, deren erratischste Eskapaden zu bejubeln, ist ja geradezu erschreckend. 

Fair?

Die faire, das heißt konsensuale, aber eben auch transparente, Festlegung von Normen im Zusammenleben ist bestimmendes Merkmal des freien demokratischen Rechtsstaats. Er wird vom Wunsch nach Autorität gefährdet. Man muß aber auch feststellen, dass sich der rechtsstaatliche Regelungsprozess auf der anderen Seite des Freiheitssprektrums ebenfalls in einer Sackgasse befindet. In einer Krise. Eigentlich mehr in einem tiefen schwarzen Loch. Während es sich beim Homo betonkopfiensis  eher um eine innerevolutionäre degenerative Aberration zu handeln scheint, ist der Homo bürocraticus eine evolutionäre Weiterentwicklung, aber in die falsche Richtung. Das gilt insbesondere für die Unterart Homo bürocraticus EU.

Beide Entwicklungen führen weg, vom ideal des Rechtsstaats. Regeln, Gesetze, Verordnungen müssen nicht nur nach ihrer Anzahl und ihrem Umfang bewertet werden. Sie haben auch Qualitäten. Liberale führen eine Debatte über die Anzahl von Regeln, was vollkommen richtig ist. Aber, ich meine wir müssen mehr über die Qualität von Gesetzen und Verordnungen sprechen. Denn eine zwingende Voraussetzung für faire Regeln des Zusammenlebens ist, dass jeder, für den sie gelten sollen, auch die Chance hat, sie zu verstehen. Eine Gesellschaft, in der ich nur noch mit juristischem Beistand rechtssicher vor die Haustür treten kann, ist keine demokratische mehr.

Unterirdisch

Es versteht sich von selbst, dass "hohe Qualität" in diesem Zusammenhang das Gegenteil von "umfangreich" ist. Es sollte völlig unstrittig sein, dass demokratisch entstandene Regelungen auch demokratisch anwendbar sein müssen. Und das bedeutet schlicht, dass sie schlicht genug sein müssen, um auch von den Schlichten in der Gesellschaft verstanden werden zu können. Und das gilt nicht nur für die Einzelnorm, sondern für auch für das integrierte Ergebnis aller Regeln.
Nun ist unsere Gesellschaft ja weit davon entfernt, dass selbst schlaue Köpfe und Rechtswissenschaftler (Tschuldigung, no offense, aber wie hätte ich auf den verzichten können?) wissen, was Recht ist und was nicht. Die Komplexität der Regeln, ihre Inkonsistenzen sind enorm, ihr Vollstreckungsaufwand gigantisch, ihre demokratische Qualität subsequent: unterirdisch. Um es einfach auszudrücken: Keine Sau weiß mehr, was denn jetzt eigentlich Phase ist. Die Beispiele sind bekannt, das Bestarium ist gut bestückt: DSGVO, CSRD, NIS-2, EED, REACH, DSA. Strohalmverbot und USB-C Zwang, Cookie-Fetisch, es geht endlos so weiter. Geradezu hemmungslos werden Seiten um Seiten mit Regularien vollgeschrieben, so als gelte es einen Preis fürs Gestalten von Gesetzen mit dem meisten Text zu vergeben. Der neueste Irrsinn: TTPW-VO - Der wortreiche Angriff auf politische Werbung. Deren de-facto Verbot auf Facebook und Google. 

Schauen Sie ruhig mal rein - denn: Sie müssen diese Verordnungen, zumindest deren deutsches Pendant kennen, verstehen und danach leben. Wenn Sie nicht wissen, was in der Directive (EU) 2019/904 steht und den falschen Strohalm verwenden, machen Sie sich strafbar.


Aber es geht bei der Qualitätsbetrachtung außer der gedanklichen und kommunikativen Klarheit noch einen anderen Aspekt, der meines Erachtens völlig vernachläßigt wird, wurde. Er ist schwieriger zu fassen und bezieht sich auf die Frage WAS WIE zu regeln ist. Ein Beispiel ist der ja zumindest formal noch existierende Unterschied zwischen Straftat und Ordnungswidrigkeit.

Who shot the Sheriff?

Es ist ein Unterschied, ob ich Mord regele oder das Aufladen von Telefonen. Nicht nur ein inhaltlicher Unterschied, sondern ein systematischer. In unserem System ist aber das, leicht zu verstehende, Prinzip des Verbotes des Tötens von Mitmenschen und dessen strafrechtliche Verfolgung und Ahndung auf der gleichen Regelungsebene angeordnet, wie das Verbot die USB-C Schnittstelle weiterzuentwickeln. Auch auf der gleichen moralischen Ebene. Das überfordert die Menschen. Das ist ein grundsätzlicher Fehler. 

Und zwar ein schwerer. Einer der die demokratische Entwicklung in Europa nachhaltig behindert, ja zurückwirft. Ein Konstruktionsfehler, der die Wähler scharenweise in die Arme der autoritären Populisten treibt. Die die Bürger, verständlicherweise von Klarheit und Eindeutigkeit im geregelten Zusammenleben träumen läßt. Und es ist ein völlig überflüßiger Fehler. Geboren aus pseudointellektueller Engstirnigkeit. Aus Angst und dem Glauben an gesellschaftlichen Determinismus. Harri Seldon läßt grüßen. Wir müssen weg von Terminus, bevor der Imperiale kommt.

In dubio pro Bürger

Quellen / Links


Russische Opfer von Putins Blödheit
https://zona.media/article/2025/11/07/verluste







Wikipedia - Nicht blöd, aber fiktiv: Harri Seldon
https://en.wikipedia.org/wiki/Hari_Seldon

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